Donnerstag, 20. August 2015

Johann.

Wir sind wieder zu hause. Nichts ist mehr, wie es war. Es ist seltsam, leer und kalt.

Vor zwei Tagen wurde mir früh eine Beruhigungstablette gegeben, bevor ich in die Ambulanz der Gynäkologie gebracht wurde. Ich erinnere mich noch, dass mein Mann zwar mitkommen durfte, aber dann trotzdem im Wartebereich bleiben musste. Ich erinnere mich auch noch, wie ich von meinem Bett auf die Behandlungsliege umgezogen bin, mich die Ärztin aus der Praxis für Pränataldiagnostik und der Oberarzt der Geburtshilfe begrüßt und mir gut zugeredet haben. Dann wurde mir irgendwas gespritzt und ich konnte noch denken, dass Johann und ich gemeinsam einschlafen, dann war ich weg. Auch an die Zeit nach dem Aufwachen kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern. Mein Mann erzählte mir dann, dass mein Kreislauf abgesackt ist und ich noch ein bisschen überwacht werden musste. Wir hatten dann noch zwei Stunden für uns (abgesehen von der permanenten Kreislaufüberwachung) bevor ich die ersten Tabletten zum Anregen der Wehen bekam. Im Nachhinein erinnere ich mich an den ganzen Tag nur wenig, abgesehen vom völlig verschwunden Zeitgefühl. Ich weiß nur, dass ich mich teilweise gefühlt habe, als wäre ich ein Eimer für Sondermüll, so wie die Medikamente in mich reingeschoben wurden. Irgendwann gegen Abend bekam ich dann Unterleibsschmerzen, die auch schnell ziemlich heftig wurden, allerdings keine Wehen waren. Nach dem ersten Schmerzmittel wurde es tatsächlich mal kurzzeitig besser, um dann hinterher noch schlimmer zu werden. Ich wurde das erste Mal in Richtung Kreißsaal gebracht, dort von der Hebamme untersucht und gleich wieder zurück aufs Zimmer geschickt, da der Muttermund noch komplett zu war. Allerdings bekam ich von ihr auch ein stärkeres Schmerzmittel gespritzt, schon mit der Vorwarnung, dass das den Kreislauf ziemlich durcheinander bringen kann. Das Mittelchen hielt, was es versprach. Ich verbrachte die nächste Stunde in einer Art relativ schmerzfreiem Dämmerzustand mit mehrmaligem Übergeben. Als die Schmerzen danach wieder schlimmer wurden,  kamen wir wieder in den Kreißsaal, auch diesmal war der Muttermund noch fast zu (übrigens: Muttermunduntersuchungen sind ätzend!!!), allerdings bekam ich dann eine PDA. Vor der hatte ich schon vorher Angst, mir ist das nicht geheuer, dass mir jemand eine Kanüle ins Rückenmark legt. Es war auch wirklich nicht schön. Aber was danach kam, war umso schöner: völlige Schmerzfreiheit die ganze Nacht. So konnte ich immerhin ein paar Stunden durchschlafen und ein wenig Kraft tanken für den nächsten Tag.

Nachdem dann am Morgen klar war, dass die Tabletten, die ich aller vier Stunden nehmen musste, nicht so richtig anschlagen und die Hebamme prognostizierte, dass noch "eine Menge Arbeit" vor uns liegen würde, wurde der Oberarzt dazu geholt, der dann entschied, etwas stärkere Geschütze aufzufahren, um das Ganze mal zum Abschluss zu bringen. Mir wurde etwas gespritzt, dass das Gewebe locker machen sollte, ich bekam noch eine PDA und gleichzeitig kam ich an den Wehentropf. Das war dann sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Innerhalb einer Stunde war der Muttermund dann endlich geöffnet.

Und dann war er da. Winzig klein und zerbrechlich, mit allem dran, was dran sein muss. Unschuldig sah er aus, so schutzbedürftig und wunderschön. Unser Sohn. Johann. Und obwohl ich wusste, dass das nur ein kurzer Besuch bei uns ist: ich hätte in dem Moment mit keiner anderen Frau tauschen wollen, ich wollte nur ihn, er war perfekt! Wir durften ihn erstmal eine Weile bei uns behalten, ihn festhalten und bestaunen, bevor er dann von der Hebamme gewaschen, gemessen, gewogen, angezogen und uns wiedergebracht wurde, in einem kleinen Körbchen, eingewickelt in die Decke, die ihm von seiner Oma gestrickt wurde.

Eine Ausschabung blieb mir zum Glück erspart, weshalb wir dann auch relativ schnell wieder in unser Zimmer durften. Vorher wurde mir nahegelegt, dass ich Johann doch bitte zudecken soll, wegen der anderen Frauen. Am liebsten hätte ich alle angebrüllt, dass ich aber genauso stolz bin auf unser Kind, und die anderen Frauen ihre Babys doch auch nicht zudecken aus Rücksicht auf mich. Dass es sowas eben auch gibt und ich nicht vorhabe, mein kleines Baby zu verstecken. Aber ich hatte keine Kraft mehr und wollte einfach nur meine Ruhe. (Außerdem, damit hier kein falscher Eindruck entsteht, muss ich sagen, dass wir uns trotzdem sehr gut aufgehoben gefühlt haben. Alle waren total mitfühlend, von der Schwesternschülerin über die Hebamme(n) bis zum Oberarzt, der extra nach Dienstschluss nochmal zu uns kam, um sich zu vergewissern, dass wir die Geburt gut überstanden haben.)

Wir hatten einen schönen Nachmittag mit Johann. Erst war der Fotograf da, der das wirklich unheimlich toll gemacht hat, sich ganz viel Zeit genommen und auch Fragen zu Johann gestellt hat. Wir hätten uns keinen besseren Fotograf vorstellen können für ihn. Danach kamen unsere Familien zu Besuch und der Pfarrer, der Johann in einer kurzen, aber schönen Zeremonie segnete. Ein unheimlich friedlicher Moment. Alle hatten kleine Geschenke für Johann mit. Ein kleines Köfferchen für seine Reise, mit Spielzeug und einem selbstgemalten Bild von seinem Cousin, ein kleines Kuscheltier, Blumen, ein Brief, ein kleines Kreuz. Das alles wird Johann auf seine Reise mitnehmen. 

Nachdem die Familie sich verabschiedet hatte, hatten wir noch zwei Stunden mit ihm allein. Wir haben ihm beide nochmal vorgelesen, seine Spieluhr gemeinsam angehört, seine kleinen kühlen Händchen gehalten, ihn geküsst und verabschiedet, um ihn dann der Hebamme zu übergeben, die ihn sehr liebevoll abgeholt hat und mit ihm gesprochen hat, als wäre er ein Baby und nicht, als wäre er ein totes Baby. Seine Kerze brannte die ganze Nacht in unserem Zimmer und es war eine unruhige Nacht mit wenig Schlaf. Als wir heute morgen entlassen wurden und das Krankenhaus verließen, hatte ich ein komisches Gefühl. Das Gefühl, ich würde mein Kind alleine lassen in diesen kalten und sterilen Räumen. Auf dem Weg nach hause wurde meinem Mann und mir wohl das erste Mal schmerzlich bewusst, was da jetzt eigentlich passiert war in den letzten Tagen und Wochen. Und als wir die erste Trauerkarte im Briefkasten hatten, war klar, dass das alles kein schlechter Traum war. Dass diese Karte für unseren Sohn ist.

Die Fotos auf meinem Handy kann ich mir nur unter Tränen anschauen. Niemals werde ich das Gefühl vergessen, Johanns kleine, kalte Hand zu halten mit den winzigen Fingern dran. Er wird immer ein Teil von uns bleiben und ab heute wird jede Nacht eine Kerze für ihn brennen. 

Kleiner, perfekter Johann.

10 Kommentare:

  1. Ich weine schon wieder, obwohl wir uns nicht kennen. Ihr seid so unglaublich stark.

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  2. Wo bist du

     

    Wo bist Du?
    frage ich das kleine Licht

    Hier bin ich!
    Mama spürst Du mich nicht?

    Ich spüre Dich,
    doch sehe ich Dich nicht

    entgegne ich dem Licht
    und höre,wie es spricht:

    Es zählt nicht,was Du siehst oder nicht,
    wichtig ist nur,Du spürst mein Licht-
    in dir,Mama,nicht äußerlich!

    Ich spüre Dich deutlich,
    innerlich.

    Zum Greifen nah,fehlt nur ein Stück.
    Zum richtigen Glück.

    Warum bist Du gegangen,mein kleines Licht,
    so traurig bin ich,
    ohne Dich!

    Ach Mama
    so weine doch nicht,
    Ich bin in Sicht,
    schließe Deine Augen und fühle mich
    ich bin ganz nah.

    Warum?Ich wieder frag,
    warum nur gehst Du,
    kleines Licht,
    läßt mich im Stich,
    Ich liebte Dich!

    So lieb mich weiter,
    ich bin doch da!

    Warum, ist alles,was aus mir spricht,
    und so erklärt mir das kleine Licht:

    Nicht traurig sein Mama,
    ich liebe Dich.
    Der kleine Körper,ich besaß,
    der wollte nicht,
    hinderte mich zu werden,
    was ich werden wollte,
    Dein gesundes kleine Licht.
    Nie wollte ich Dich verlassen,
    doch mußte ich,
    wollt doch nicht krank sein,Mama,
    verstehst Du mich?

    Schmerzlich erkläre ich dem Licht,
    am Verstehen scheitert es nicht,
    nur tut es so weh.

    Meine Mama,
    so weine nicht,
    Zeit vergeht,
    bald bin ich wieder in Sicht!
    Kämpfe für mich!
    Ich brauche Dich!

    Ich liebe Dich!!

    Mein süßes kleines Licht,
    wie kann ich um Dich kämpfen,
    Du bist doch schon tot.

    Nein Mama,
    nicht tot bin ich.
    Nur Zeit brauch ich,
    ein bißchen nur,
    ich bitte Dich,empfange mich,
    gleich herzlich wie beim ersten Mal!!

    Wie anders außer herzlich könnt ich Dich empfangen,
    Du süßes Licht,
    sehnsüchtig erwart ich Dich!

    Also dann Mama,
    nicht traurig sein!
    Erwarte mich,
    bald bin ich Dein.

    Mein Licht soll strahlen,
    richtig hell,
    so das Du nie den Mut verlierst,
    tot ist nicht mein Lebenslicht,
    nur der Körper mußte gehen.

    Ich bin bei Dir,Ich leuchte Dir,
    niemals mehr sollst Du trauern um mich-
    es gibt keinen Grund.

    Du wartest auf mich und ich auf Dich!!

    Ich liebe Dich!!

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  3. Der Ort an dem unsere Engel sind

     

    Es gibt jeden Tag ein neues Engelkind,
    oben im Himmel wo alle Sternenkinder zusammen sind.
    Sie fliegen mit dem Wind, strahlen mit der Sonne,
    toben im Sternenstaub mit Wonne.

    Laufen gemeinsam über den Regenbogen,
    sind so viele, deshalb ist er auch gebogen.
    Sie schaukeln auf den Sternen hin und her,
    uns das vorzustellen ist nicht schwer.

    Sie haben ihren Spaß und unsere Seelen sind leer,
    aber wir müssen sie ziehen lassen,
    auch wenn wir uns dafür hassen.

    Aber Ihre Welt ist nun dort,
    An dem geheimnisvollen Himmelsort.
    Dort sind sie beschützt und umsorgt.
    Uns waren sie nur für eine kurze Zeit geborgt.


    Ich wünsche euch unbekannterweise alle Kraft der Welt. Ich bewundere Deine/Eure Stärke. Euer kleiner Engel schaut zu euch herunter und weiss das ihr ihn unheimlich liebt und immer lieben werdet.

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  4. Tränen... Ihr seid so stark! Ich bewundere euch und trauere mit euch.

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  5. ich denk an euch. diesen blogpost konnte ich nicht zu ende lesen, weil mein herz so krampft. auch am dienstag hab ich immer wieder an euch denken müssen. ich weiß nicht was ich euch wünschen soll, ich hab keine worte für das, was ihr grade erleben müsst. passt gut aufeinander auf.

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  6. Auch ich musste mit Pausen lesen. Der Post ist so aufwühlend. Ihr habt Johann einen wunderschönen Abschied bereitet. Ihr seid so toll! Ich wünsche euch ganz viel Kraft und zünde für Johann eine Kerze an.

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  7. Eure Geschichte berührt mich sehr. Ich habe einen Kloß im Hals und mir laufen die Tränen.
    Bei all dem Schmerz klingen die Stunden mit eurem kleinen Johann sehr liebe- und wundervoll. Ihr seid so tapfer und stark und so tolle Eltern für euren Sohn. Das werdet ihr auch immer bleiben.
    Ich kann nicht in Worte fassen, wie leid mir euer Verlust tut. Ich wünsche euch viel Kraft und Halt in dieser Zeit und für die Zukunft alles alles Gute.
    Schlaf gut, kleiner Johann, du wirst immer unvergessen bleiben!

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  8. Das ist so ein unvorstellbares Leid. Ich fühl so sehr mit euch. Deine Art zu schreiben ist wundervoll, das Geschriebene so unfassbar. Ich wünsche euch dass die wenigen Momente die ihr mit eurem kleinen Johann hattet, euch Stärke geben.Er hat so wunderbar liebevolle Eltern und das wird er auch direkt gespürt haben.

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  9. Du bist so eine unglaublich starke Frau! Worte können nicht ausdrücken, welche Gefühle das bloße lesen bei mir auslöst. Wie musst dich dann erst fühlen?
    Ich ziehe meinen Hut vor dir und wünsche dir für die kommende Zeit alle Kraft dieser Welt. Ich wünsche dir, dass der Schmerz über diesen Verlust irgendwann nachlässt. Ich wünsche dir, dass du glücklich bist und nie diese unglaubliche Stärke verlierst.

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  10. Ich verstehe euren Schmerz nur zu gut und denke,unbekannter Weise,sehr oft an euch.Heute war ich am Grab meines Sohnes, er passt auf euren kleinen Johann auf.Mein Beileid und alles Liebe.

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