Mittwoch, 12. August 2015

Game Over

Gestern, gerade als wir beim regulären Vorsorgetermin saßen, kam ein Anruf von der Humangenetikerin, sie hätte jetzt die Ergebnisse vorliegen, ob es uns möglich wäre gegen 17 Uhr in ihre Praxis zu kommen, bitte unbedingt zu zweit, es müsse auch noch Blut bei uns abgenommen werden. Wir hatten direkt beide ein schlechtes Gefühl bei dem Anruf. Irgendwie war uns klar, dass da was nicht in Ordnung sein kann. Trotzdem, oder gerade deswegen bestellte ich dann an der Anmeldung einen Extraultraschall dazu, die Zeit war eh da, denn ich hatte das Glukosescreening und musste sowieso eine Stunde warten zwischen dem ekelhaft süßen Getränk und der Blutentnahme. Und obwohl ich wusste, dass ein CTG in der 27. Woche absolut unnötig und sinnlos ist, hab ich auch das noch mitgenommen. So als wollte ich noch alles aufsaugen, was irgendwie mit Schwangerschaft zu tun hat. Der Ultraschall war einer der schönsten, die wir bisher hatten. Er lag mit dem Köpfchen nach unten und hatte seine Beine ebenfalls unten, so dass er abwechselnd an Daumen, Nabelschnur und großer Fußzehe nuckeln konnte.  Es wirkte ein bisschen wie: "Schaut her, was ich schon alles kann!" Das CTG konnte er anscheinend nicht so gut leiden, da klang für mich auch rein gar nichts nach einem gleichmäßigen Herzschlag. Eher klang es, als würde jemand mit einem an Lautsprecher angeschlossenen Mikrofon Fußball spielen. Aber egal, ich konnte liegen, was mir sehr recht war, denn von völliger Übermüdung, Kopfschmerzen, totalem Hunger und Durst, abartiger Hitze und der Zuckerlösung war mir richtig schummrig. Das flaue Gefühl im Magen wurde durch den Anruf noch verstärkt. Als wir den Termin für die nächste Untersuchung ausgemacht haben, wurden wir von der Schwester gefragt, was eigentlich bei dem Termin in Leipzig rausgekommen sei. Als ich ihr das kurz erklärte, musste mein Mann den Raum verlassen, ihm kamen die Tränen. Mit den besten Wünschen verließen wir die Praxis. Ein Gefühl machte sich breit. Das Gefühl, dass wir unser Kind heute das letzte Mal lebend gesehen haben.


Wie die Zeit bis 17 Uhr verging, muss ich glaub ich nicht erzählen. Als wir dann im Wartezimmer der Humangenetikerin saßen, hatte ich eine seltsam gute Laune. Ich blätterte in den Zeitschriften und lachte über unlustige Dinge. Es war wie dieses Unsicherheitslachen, wenn man mit einer Freundin nachts im Wald unterwegs ist und sich eigentlich vor Angst gleich in die Hosen macht. Mit einem kurzen Exkurs in Biologie ging dann das Gespräch los und das war eine ziemlich gute Taktik, denn so wurde es direkt in eine sachliche Ebene gebracht, ohne dabei unterkühlt zu wirken. Uns wurde erklärt, wie das nochmal war mit der Vererbung, den Genen und den Chromosomen. Ich verstand, wie damals in der Schule, nichtmal die Hälfte. Deshalb ist das, was ich hier wiedergebe wahrscheinlich nicht wissenschaftlich korrekt, ich versuche es aber trotzdem. Es gibt wohl zwei Gene, auf denen man diese Mutation nachweisen kann. Auf dem ersten würde bei unserem Kind alles ganz normal aussehen. Auf dem zweiten, und das ist leider das, bei dem es die schlimmeren Auswirkungen hat, gibt es an 4507. Stelle eine Mutation. Dort müsste ein C stehen, es steht aber ein T. Und das allein bewirkt, dass eine übermäßige Zellteilung stattfindet, was wiederum Grund für die Tumore ist, die sich an allen möglichen Stellen bilden können. Es gäbe jetzt noch die Möglichkeit, dass bei einem von uns ganz genau diese Mutation vorhanden ist, was bedeuten würde, dass diese wohl nicht pathologisch ist (also keine medizinisch relevanten Auswirkungen hat). Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings mehr als gering, die Ärztin hätte so einen Fall in über zwanzig Jahren nicht erlebt. Und selbst dann gäbe es keine Garantie, dass es sich bei dem Kind nicht doch anders auswirkt. Wir haben noch eine Menge Infomaterial mitbekommen und wurden vor Allem auch in unserer Entscheidung unterstützt, dem Kleinen dieses Leben zu ersparen, denn die Fälle, die sie kennt, wären allesamt mit einem eher schlimmen Verlauf, bei dem die Krampfanfälle bereits mit wenigen Wochen losgingen, die wenigsten Kinder hätten überhaupt das Sprechen gelernt und wären spätestens im Jugendalter schwerst mehrfachbehindert. 

Ich hatte erwartet, ich würde komplett zusammenbrechen und anfangen zu heulen. Seltsamerweise waren wir aber vor allem eins: erleichtert. Die Ungewissheit war vorbei. Wir hatten damit gerechnet, weil 70% eben doch mehr als 30% sind. Erst abends kurz vorm Einschlafen gab es diesen kurzen Moment, als ich gesagt hab "Wir dürfen auf keinen Fall vergessen die Spieluhr mitzunehmen, damit er sie hören kann, wenn er das letzte Mal einschläft. Und dann bekommt er sie mit ins Grab und dann will ich die Melodie nie wieder hören." 

Ich weiß, das Schlimmste steht uns noch bevor. Und ich habe vor der Spritze, die den Kleinen zum Einschlafen bringt viel mehr Angst, als vor der Geburt. Und ich habe Angst vor dem Danach. Die Beerdigung und all das. Und Angst vor all den traurigen Gesichtern, die uns begegnen werden. Aber ein ganz kleiner Teil in mir freut sich auch auf den Babyjungen, weil ich finde, er hat es genau wie jedes andere Kind verdient, dass man sich auf ihn freut und stolz auf ihn ist!



22 Kommentare:

  1. "An M.
    Der du meine Wege mit mir gehst,
    Jede Laune meiner Wimper spürst,
    Meine Schlechtigkeiten duldest und verstehst -
    Weißt du wohl, wie heiß du oft mich rührst?
    Wenn ich tot bin darfst du gar nicht trauern.

    Meine Liebe wird mich überdauern
    Und in fremden Kleidern dir begegnen
    Und dich segnen.
    Lebe, lache gut!
    Mache deine Sache gut!"
    (Ringelnatz)

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  2. Ich habe eure Geschichte verfolgt und gehofft, das alles gut wird für euch. Jetzt sitze ich hier mit Tränen in den Augen. Es ist so ungerecht. Ich wünsche euch ganz viel Kraft für die kommende Zeit '

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  3. Es tut mir so unendlich leid. Ich denk an euch.

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  4. Ihr seid und werdet immer die Eltern diesen kleinen Menschleins bleiben! Ich wünsche euch viel Kraft und Beistand für die kommende Zeit!

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  5. mir sind die tränen gekommen!

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  6. es tut mir so, so leid für euch. ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. unbekannterweise denk ich an euch.

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  7. Man kann sich nicht ausmalen, wie es euch gehen muss. Ich wünsche euch viel Kraft, Halt und Raum zum trauern und wütend sein.

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  8. Viel Kraft wünsche ich euch!

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  9. Dafür gibt es keine Worte... Ich denke an Euch und wünsche Euch liebe Menschen um Euch herum, die da sind, und dass Ihr füreinander da sein könnt. Es tut mir unendlich leid. Das ist so unfassbar ungerecht.

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  10. Gänsehaut, Trauer, die bohrende Frage nach dem "Warum" - was für eine Ungerechtigkeit! Haltet zusammen in dieser schweren Zeit! Ich wünsche euch die nötige Kraft für den Weg durch dieses Tal.

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  11. ich will einen lieben und tröstenden und hilfreichen kommentar schreiben, aber alles was ich denken kann ist scheissescheissescheissescheissescheisse. sorry. denke unbekannterweise sehr an euch.

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  12. Es tut mir unglaublich leid und ich denke an euch. Alles Liebe!

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  13. Weil ich es gerade in einem anderen Zusammenhang gekesen habe.....es gibt Sternenfotografen, nur zur Info falls ihr es noch nicht kanntet.....
    http://www.dein-sternenkind.eu

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  14. Es tut mir so leid für euch. Ich wünsche euch alle Kraft für die kommende Zeit!

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  15. Ich finde, ihr seid dem Kleinen ganz tolle Eltern! Es tut mir leid, dass ihr nun so einen schweren Weg vor euch habt, dafür wünsche ich euch viel Kraft!
    Ich denke, ich würde die gleiche Entscheidung treffen, auch wenn ich mir nicht ansatzweise vorstellen kann, wie schmerzhaft diese ist. :-(
    Ich wünsche euch alles erdenklich Gute!

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  16. Ich bin geschockt. Ich hab oefter hier reingesehen und mit euch gehofft. Es tut mir wahnsinnig leid, ich hoffe, ihr koennt euch gegenseitig eine Stütze sein.

    planetenteam (Sarah)

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  17. Ganz viel Kraft für euch. Mehr kann man dazu gar nicht sagen :(

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  18. "Reise nach Holland"
    von Emily Perl Kingsley, übersetzt aus dem Englischen


    "Wir werden oft gefragt, wie es ist, ein behindertes Kind großzuziehen. Es ist wie folgt:

    Wenn man ein Baby erwartet, ist das, wie wenn man eine wundervolle Reise nach Italien plant. Man deckt sich mit Reisprospekten und Büchern über Italien ein und plant die wunderbare Reise. Man freut sich aufs Kolosseum, Michelangelos David, eine Gondelfahrt in Venedig, und man lernt vielleicht noch ein paar nützliche Brocken Italienisch. Es ist alles so aufregend. Nach Monaten ungeduldiger Erwartung kommt endlich der lang ersehnte Tag. Man packt die Koffer, und los geht's. Einige Stunden später landet das Flugzeug. Der Steward kommt und sagt: "Willkommen in Holland." - "Holland ?!? Was meinen Sie mit Holland?!? Ich habe eine Reise nach Italien gebucht! Mein ganzes Leben lang habe ich davon geträumt, nach Italien zu fahren!"

    Aber der Flugplan wurde geändert. Du bist in Holland gelandet, und da musst du jetzt bleiben. Wichtig ist, die haben uns nicht in ein schreckliches, dreckiges, von Hunger, Seuchen und Krankheiten geplagtes Land gebracht. Es ist nur anders als Italien. So, was du jetzt brauchst, sind neue Bücher und Reiseprospekte, und du musst eine neue Sprache lernen, und du triffst andere Menschen, welche du in Italien nie getroffen hättest. Es ist nur ein anderer Ort, langsamer als Italien, nicht so auffallend wie Italien. Aber nach einer gewissen Zeit an diesem Ort und wenn du dich vom Schrecken erholt hast, schaust du dich um und siehst, dass Holland Windmühlen hat. Holland hat auch Tulpen, Holland hat sogar Rembrandts.
    Aber alle, die du kennst, sind sehr damit beschäftigt, von Italien zu kommen oder nach Italien zu gehen. Und für den Rest deines Lebens sagst du dir: "Ja, Italien, dorthin hätte ich auch reisen sollen, dorthin habe ich meine Reise geplant." Und der Schmerz darüber wird nie und nimmer vergehen, denn der Verlust dieses Traumes ist schwerwiegend. Aber, wenn du dein Leben damit verbringst, dem verlorenen Traum der Reise nach Italien nachzutrauern, wirst du nie frei sein, die speziellen und wundervollen Dinge Hollands genießen zu können."

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    1. Ich finde die Geschchte an dieser Stelle ziemilch unpassend platziert. Die Autorin dieses Blogs hat eine der schwersten Entsceidungen, vor die einen das Leben überhaupt stellen kann, getroffen. Und sie und ihr Mann wollen offensichtlich nicht die Alternativen diskutieren sondern haben einfach jede Unterstützung der Welt verdient; und wenn sie nur darin besteht, dass man ihre Entscheidung kommentar- und kritiklos hinnimmt.

      Ich habe beruflich oft mit behinderten Kindern und ihren Eltern zu tun, und dieser Vergleich mit der Reise trifft, wenn auch sehr stark romantisiert, sicher für viele zu. Für Eltern, deren Kind mit Down-Syndrom o.ä. auf die Welt kam. Leichte Behinderngen, die nicht unbedingt die Lebensqualität des geliebten Kindes beeinträchtigen müssen, mit denen man insgesamt ganz gut leben kann.
      Eltern von Kindern mit Krankheiten wie Mucopolysaccharidose, Trisomie 13 oder 18, Tuberöser Sklerose und Konsorten können über Geschichten wie diese kaum mehr müde lächeln: Ihre letzte Reise liegt normalerweise Jahre zurück, verbringen Stunden, Tage und Wochen mit Pflege, in Krakenhäusern oder daheim, mit den Ängsten, wann das Kind sterben wird (ja, WANN, nicht OB) und bemühen sich daneben auch noch den Geschwisterkindern gerecht zu werden.
      Selbstverständlich kann es die richtige Entscheidung sein, auch ein schwerstmehrfachbehidnertes Kind zur Welt zu bringen und natürlich sin diese Eltern nicht weniger glücklich über ihren Nachwuchs als andere. Jemanden zu lieben macht nun mal glücklich, und gerade elterliche Liebe stellt keine Bedingungen.

      Diese Eltern, um die es hier geht, haben sich aber - nachvollziehbarer Weise - anders entschieden. Sie handeln da, wie alle liebevollen Eltern, im Sinne ihres Kindes und tun, was nach ihren Werten das beste für alle ist. Ich bewundere sie dafür. Und zumindest wer hier liest und kommentiert, sollte das zumindest akzeptieren und respektvoll mit ihrer Entscheidung umgehen.

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    2. Danke! Unser Kind ist ein Wunschkind, vielleicht mehr gewünscht, als jedes andere Kind auf dieser Welt. Aber nicht um jeden Preis. Ja, mir wäre es tausend mal lieber, könnte ich ihn lebend in meinen Armen halten und wäre es nur für einige Minuten. Wir haben uns dafür entschieden, dass sein Leben ein sehr kurzes, aber dafür eines geprägt von Wärme, Liebe, Schmerzfreiheit wird, anstelle eines etwas längeren, aber dafür qualvollen und zermürbenden Lebens. FÜR UNS ist diese Entscheidung die Richtige. Ich kann mein Kind dazu nicht befragen, wir entscheiden das allein nach unserem Gefühl und danach, was wir uns für das Kind wünschen und wir wünschen ihm nun mal nicht, so schrecklich es klingen mag, dass er unter Schmerzen vor sich hin vegetiert, bis es nicht mehr geht. Wir wünschen uns nicht, dass er froh ist, wenn er endlich von dieser Welt gehen kann. Wir wünschen uns, dass er glücklich und zufrieden einschlafen kann, schmerzlos vor allem. Der Schmerz bleibt bei uns und den halten wir gerne aus für ihn.

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  19. "If I Die Young"

    If I die young, bury me in satin
    Lay me down on a bed of roses
    Sink me in a river at dawn
    Send me away with the words of a love song

    Uh oh, uh oh

    Lord make me a rainbow, I'll shine down on my mother
    She'll know I'm safe with you when she stands under my colors, oh,
    And life ain't always what you think it ought to be, no
    Ain't even grey, but she buries her baby

    The sharp knife of a short life, oh well
    I've had just enough time

    If I die young, bury me in satin
    Lay me down on a bed of roses
    Sink me in the river at dawn
    Send me away with the words of a love song

    The sharp knife of a short life, oh well
    I've had just enough time

    And I'll be wearing white, when I come into your kingdom
    I'm as green as the ring on my little cold finger,
    I've never known the lovin' of a man
    But it sure felt nice when he was holdin' my hand,
    There's a boy here in town, says he'll love me forever,
    Who would have thought forever could be severed by...

    ...the sharp knife of a short life, oh well?
    I've had just enough time

    So put on your best, boys, and I'll wear my pearls
    What I never did is done

    A penny for my thoughts, oh, no, I'll sell 'em for a dollar
    They're worth so much more after I'm a goner
    And maybe then you'll hear the words I been singin'
    Funny when you're dead how people start listenin'

    If I die young, bury me in satin
    Lay me down on a bed of roses
    Sink me in the river at dawn
    Send me away with the words of a love song

    Uh oh (uh, oh)
    The ballad of a dove (uh, oh)
    Go with peace and love
    Gather up your tears, keep 'em in your pocket
    Save 'em for a time when you're really gonna need 'em, oh

    The sharp knife of a short life, oh well
    I've had just enough time

    So put on your best, boys, and I'll wear my pearls.

    (the band perry)

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