Mittwoch, 20. Juli 2016

Ein Jahr - ein Rückblick

Ich kann es gar nicht richtig begreifen, aber ja, es ist nun schon genau ein Jahr her, dass wir in der Pränataldiagnostik saßen und uns der schlimme Verdacht mitgeteilt wurde. Und im Moment häufen sich solche Daten. Ich bin nun in der 29. Schwangerschaftswoche. Vor zwei Tagen war der Tag der Schwangerschaft, an dem ich Johann entbunden hatte, vor drei Tagen der, an dem er von uns gehen musste. Dass wir gerade im Urlaub sind, erinnert mich an unseren letzten Urlaub mit Johann. Gerade ist es einfach wirklich unglaublich nah und präsent und dass Johann bald seinen ersten Geburtstag hat, kommt mir mehr als unrealistisch vor.

In diesem Jahr ist viel passiert. Ich habe etwas überlebt, von dem ich nie dachte, dass ich das kann. Ich weiß noch, wie ich früher oft dachte: "Oh Gott, also wenn mein Kind stirbt, dann will ich auch sterben!" Ich war mir zumindest sicher, dass ich/man mich in diesem Falle einweisen lassen müsste. Das war nicht der Fall. Obwohl ich mich schon für eine eher wehleidige, schwache Person gehalten habe, konnte ich irgendwie dann doch die Ressourcen aufbringen, es so ziemlich unbeschadet zu überstehen. Wobei unbeschadet vielleicht das falsche Wort ist, denn einen Schaden hat es schon angerichtet. Die Narben werden bleiben und weiterhin von Zeit zu Zeit schmerzen, aber das ist okay, ich finde sogar, es wäre seltsam, wäre es nicht so.

Das Jahr hat mich auch verändert. Ich habe Seiten an mir kennengelernt, von denen ich vorher nichts wusste. Ich hatte keine Ahnung wie wütend ich sein kann. Auf ein Schicksal, dass fieser nicht hätte sein können. Auf Personen und Verhaltensweisen, die mir zusätzlichen Schmerz bereitet haben in einer Zeit, in der der Schmerz eh schon kaum zu ertragen war. Aber ich habe dadurch etwas Wichtiges gelernt, nämlich, nicht immer Allem und Jedem mit Verständnis und Nachsicht zu begegnen, schon gar nicht in solch einer Situation. Dadurch ist manch ein Eintrag hier entstanden (ich denke da besonders an einen), der sicher hätte diplomatischer ausgedrückt werden können. Dennoch, obwohl inzwischen Zeit verstrichen ist, kann ich sämtliche Gefühle als wäre es gestern gewesen, nachvollziehen und bin auch irgendwie froh darüber, es eben genau so geschrieben zu haben. Weil es echt ist. Weil es gut tut, es raus zu lassen. Weil ich nicht mehr der Mensch bin, der, egal wie schlecht es ihm geht, alles einfach schluckt nur um des Friedens Willen. Dass Anderen dafür das Verständnis fehlt - gut, damit kann ich leben. Allerdings dann auch sehr gut ohne die Person(en) in meinem Leben. 

Was sich noch geändert hat, ist mein Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Ich war schon immer ein Mensch, der viel Zeit für sich brauchte, was möglicherweise auch ein bisschen beruflich bedingt ist. Wenn man sich den ganzen Tag den Mund fusselig redet, ständig irgendetwas schnell entscheiden muss und nicht mal auf der Toilette eine Minute Ruhe hat, weil vor der Tür schon wieder etwas mit Fäusten statt Worten geklärt wird, ist man einfach froh, wenn man nach hause kommt und den Rest des Tages mit sich selbst verbringen kann. Gut, nun war ich ja seit meiner Schwangerschaft mit Johann nicht mehr arbeiten, dieser Aspekt fällt also weg. Trotzdem haben sich meine sozialen Kontakte auf ein Mindestmaß beschränkt. Und das lag nicht etwa daran, dass sich niemand mehr gemeldet hat, plötzlich Freunde "verschwunden" sind, wie man es ja öfter von Menschen in Krisensituationen hört. Ganz im Gegenteil. Ich hatte unglaublich viel Unterstützung, aus dem Weg gegangen wurde mir nicht. Vielleicht auch, weil ich es, wie meine Therapeutin sagt, anderen leicht mache mit mir umzugehen. Ich breche nicht plötzlich in Tränen aus, kann ganz normal darüber sprechen, man kann mich alles fragen und ich freue mich über jegliches Interesse an Johann und allem was damit zu tun hat. Warum die sozialen Kontakte abgenommen haben, lag vor allem Anderen an mir selber. Irgendwie hat es mich angestrengt und das ist auch heute noch so. Egal wie schön und unbeschwert ein Tag mit Familie/Freunden war, wenn ich nach hause komme, bin ich körperlich wie mental komplett im Eimer, zu nix mehr zu gebrauchen und wenn ich danach nicht mindestens einen kompletten Tag habe, den ich auf der Couch verbringen kann, völlig ohne Verpflichtungen, führt das dazu, dass ich unausstehlich werde, mir alles zu viel wird und das sind dann auch die Momente, in denen alles aus mir heraus platzt. Die Trauer sucht sich da irgendwie ihren Weg, bei mir über die Ausgelaugtheit nach sozialen Kontakten. Es wird langsam besser, aber wirklich nur sehr langsam und ich bin auch froh, dass ich momentan wenigstens nicht den Zwang habe, arbeiten gehen zu müssen, das würde mich vollends überfordern. Wie viel davon nun auch schwangerschaftsbedingt ist, weiß ich nicht, aber das spielt sicher mit rein.

Was mir in dem Jahr, besonders am Anfang, wirklich richtig gut getan hat, war die "Arbeit" mit den Flüchtlingskindern und in dem Zusammenhang das Zusammensein mit ein paar bestimmten Menschen, die mir einfach mit ihrer unglaublich herzlichen und liebevollen Art schon unheimlich geholfen haben. Und auch, wenn wir uns jetzt schon zum Teil länger nicht gesehen haben, möchte ich dafür mal Danke sagen! Genauso wie den vielen, eigentlich völlig fremden Menschen aus einem Internetforum, die mit einer riesigen finanziellen Hilfe letztes Jahr der Grund waren, warum unsere Feier für Johann so stattfinden konnte, wie wir uns das vorgestellt hatten. Ich finde das immer noch überwältigend und alles andere als selbstverständlich. Meiner Familie und allen anderen Freunden, die uns auf welche Weise auch immer, unterstützt haben, hier auch noch einmal mein/unser Dank! Dass man so eine heftige Zeit durchstehen kann, ist eigentlich nur mit Unterstützung möglich und ich hoffe, wir können euch dafür irgendwie und irgendwann etwas zurück geben.
Die ein oder andere Person, die sich plötzlich aus meinem Leben entfernt hat, gibt es zwar ganz vereinzelt auch, aber dafür sind andere, tiefere Kontakte entstanden, die die Enttäuschung darüber ein bisschen mindern.

Nun steuern wir mit großen Schritten auf Johanns ersten Geburtstag zu und das wird sicher nochmal eine sehr schmerzhafte Zeit werden. Gleichzeitig freuen wir uns auf die Geburt unserer Tochter im Oktober. Diese Spannbreite an Gefühlen zerreißt mich manchmal förmlich. Derjenige, der das wohl am meisten zu spüren bekommt, ist mein Mann. Und wohl auch die einzige Person, die es schafft mich in solchen Momenten irgendwie wieder zusammenzupuzzeln. Dafür auch mal ein ganz großes Danke! Und, Achtung es wird kitschig: Ich liebe dich unheimlich!