Samstag, 31. Oktober 2015

Test

1. Sie sind mit Ihrem einjährigen Kind einkaufen und treffen ein befreundetes Paar, das, wie Sie wissen, vor wenigen Wochen ihr Kind verloren hat. Sie haben sich bisher noch nicht bei dem Paar gemeldet. Wie reagieren sie?

a) Es ist mir unangenehm. Ich grüße das Paar, spreche mein Beileid aus und frage, wie es ihnen geht und gebe zu, dass es mir schwer fällt, mit der Situation umzugehen. 
(10 Punkte)

b) Ich hoffe, Sie haben mich noch nicht gesehen und gehe schnell weiter. Später schreibe ich eine SMS und drücke mein Beileid aus. 
(5 Punkte)

c) Ich sage kurz, dass es mir leid tut, frage wie es ihnen geht, um dann nach einer kurzen Antwort von meiner Elternzeit und dem Leben mit Kind zu schwärmen.
 (0 Punkte)


2. Sie sind hochschwanger und möchte gerne eine Freundin (ebenfalls schwanger) besuchen, die sie lange nicht gesehen haben und die gerade auf einer Familienfeier in Ihrer Stadt ist. Sie sind nicht eingeladen und wissen auch, dass auf der Feier die Schwägerin ihrer Freundin und ihr Mann sind, deren Kind vor wenigen Wochen verstorben ist. Was machen Sie?

a) Da ich mir vorstellen kann, dass die Situation für die verwaisten Eltern schon schwer genug ist und  sie an dem Abend schon mit ihrer schwangeren Schwägerin konfrontiert sein werden, frage ich meine Freundin, ob wir uns einen Tag später treffen können. 
(10 Punkte)

b) Ich frage meine Freundin rechtzeitig vorher, ob es für alle ok wäre, wenn ich vorbei kommen würde und mache von der Antwort abhängig, ob ich bei der Feier vorbeischaue. 
(5 Punkte)

c) Ich schreibe meiner Freundin eine SMS, bevor ich mich vauf den Weg mache. Gut gelaunt tauche ich zehn Minuten später auf der Feier auf und begrüße das verwaiste Elternpaar als wäre nichts gewesen. Als ich kurz darauf bemerke, dass das Paar die Geburtstagsfeier ihrer (Schwieger)Mutter verlassen hat, weil die Frau weinend zusammengebrochen ist, bleibe ich trotzdem noch eine Stunde und mache mir eine schöne Zeit. Das Paar ist ja jetzt eh weg, da kann ich auch bleiben. War ja keine Absicht. Kann ich ja nicht wissen, dass die das noch so mitnimmt. 
(0 Punkte)


Auswertung:

15-20 Punkte: Herzlichen Glückwunsch, Sie sind ein sehr empathischer Mensch, der auf seine Mitmenschen eingehen kann und auch in schwierigen Situationen beweist, dass sein Herz am rechten Fleck sitzt. Selbst, wenn Sie eigentlich sprachlos sind, können Sie sich das eingestehen. Seien Sie sicher, dass dies sehr geschätzt wird!

5-10 Punkte: Sie gehen unangenehmen Situationen gerne aus dem Weg, weil Sie sich unsicher fühlen. Das ist im Grunde kein Problem, da sich wohl die meisten Menschen in solchen Situationen unwohl fühlen und Angst haben, etwas falsch zu machen. Meistens hilft es, wenn man einfach nachfragt oder mal darüber nachdenkt, was man sich selbst in solch einer Situation wünschen würde. Keine Angst, Sie sind auf dem richtigen Weg!

0-5 Punkte: Empathie ist bei Ihnen Fehlanzeige. Ob Sie anderen Menschen mit Ihrem Verhalten weh tun, interessiert Sie nicht. Was kümmert Sie fremdes Elend? Also ja, es tut Ihnen schon irgendwie leid, aber wenn man darüber zu viel nachdenkt, bekommt man ja nur schlechte Laune. Umgangssprachlich nennt man das auch "Arschloch". Bleibt nur zu hoffen, dass Sie nicht selbst einmal auf das Mitgefühl anderer Menschen angewiesen sind und dann nur auf welche treffen, die wie Sie handeln.

Samstag, 24. Oktober 2015

Vier mal Johann.

Viel ist ja nicht geblieben an Erinnerungen. Und das Problem, was ich mit den wenigen Erinnerungen habe, ist, dass ich sie nicht zusammenfügen kann zu einem Bild von unserem Sohn. 

Einerseits wären da die Ultraschallbilder und Videosequenzen. Je nachdem aus welcher Schwangerschaftswoche die stammen, sieht Johann da mehr oder weniger aus, wie ein Alien. Auf den Aktuellsten, etwas verschwommen, dann doch wie ein richtiges Baby, mit einem süßen Gesicht, dass eine Schnute zieht.  Auf den Videos bewegt er sich, spielt mit der Nabelschnur und steckt seine Füße in den Mund. Er lebt. 

Die zweite Seite, die ich von Johann kennenlernen durfte, ist die als "Bauchbewohner". Ich mag das Wort nicht, aber das beschreibt es nun mal am Besten. Trotz der vielen Ultraschallaufnahmen hatte Johann in meinem Bauch nie ein Gesicht für mich. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er wirklich aussah und habe schon während der Schwangerschaft nicht wirklich begriffen, dass das Baby auf den Bildern auch das in meinem Bauch ist. Davon abgesehen, dass ich eh nicht wusste, wie genau diese Aufnahmen sind. Das war mir auch nicht wichtig. Wichtig war, er hat sich bewegt, hat auf uns reagiert, konnte manche Dinge gut leiden (Vorlesen) und manche Dinge gar nicht (wenn ich auf der rechten Seite lag, das CTG). Und er war frech, das war mir klar, denn er war ja unser Junge. Irgendwie war es ein erstes Kennenlernen. Eine Art Blind Date, bei dem man schon vor dem ersten Aufeinandertreffen weiß: Der ist es!

Als Johann auf die Welt kam, ist das dritte Bild von ihm entstanden. Er sah ganz anders aus, als ich dachte, viel unfertiger als auf den eine Woche alten Ultraschallbildern. Dünner. Leblos. Schön war er dennoch, keine Frage. Ich hab versucht, alles aufzusaugen. Im Nachhinein ärgere ich mich über ein paar Dinge. Dass ich mich nicht getraut habe, ihn aus dem Körbchen zu nehmen, auszuziehen und richtig zu bestaunen und im Arm zu halten. Er lag nie nackt auf meiner Brust, es war immer etwas dazwischen. Die Begründung kommt mir inzwischen sehr lächerlich vor: Ich hatte Angst, etwas kaputt zu machen, ihm wehzutun. Angst, dass er frieren könnte, wenn ich ihn ausziehe. Das Einzige, was mir so richtig in Erinnerung geblieben ist, was sich förmlich eingebrannt hat (und hoffentlich für immer bleibt), ist seine kleine, weiche, kühle Hand in meiner. Mit winzig kleinen Fingernägeln und kleinen Fältchen, die ich fühlen konnte, als ich sie geküsst habe. Und obwohl er direkt vor mir lag, hat er schon gefehlt. Er war da und war gleichzeitig nicht da. Ich wollte ihn festhalten und niemals wieder loslassen, obwohl er längst woanders war. Er und die ganze Situation waren ganz anders, als ich sie mir vorher vorgestellt habe.

Die vielen Fotos, die an dem Tag entstanden sind, sind eine visuelle Erinnerung. Sie kommen dem am nächsten, was wir am Tag von Johanns Geburt gesehen und erlebt haben. Wenn ich ihn darauf sehe, überkommt mich immer sofort das Bedürfnis, ihn zwischen Nasenflügel und Auge zu Küssen. Ich weiß nicht warum ausgerechnet an der Stelle, vielleicht liegt es an der Perpektive mancher Fotos. Manchmal entdecke ich Neues auf den Bildern. Manchmal sieht er müde aus, manchmal lächelt er und manchmal sieht er aus, als hätte er gerade etwas ausgeheckt. Dabei weiß ich, dass er eigentlich gar keinen Gesichtausdruck haben kann. Ich weiß gar nicht, wie er ausgesehen hätte, hätte er gelächelt, wäre er müde oder schelmisch gewesen.

All diese Bilder und Vorstellungen bekomme ich nicht zusammen zu einem Bild, einem Eindruck von Johann. Entweder lebt er und ich seh ihn nur verschwommen oder gar nicht, oder er ist tot und sieht aus, wie er aussieht. Irgendwas fühlt sich an den Erinnerungen immer falsch an. Woran soll ich mich also erinnern? 

Montag, 5. Oktober 2015

Die Zeit.

Sechs Wochen und fünf Tage ist die Geburt nun her und ich weiß überhaupt nicht, wie die Zeit so schnell vergehen konnte. Ähnlich lang ist die Zeit bis zum errechneten Geburtstermin und ich merke jetzt schon, wie groß meine Angst vor dem November ist und vor den Wochen danach. Weihnachten und so. Das Fest der Liebe. Und der Familie. Ich möchte kotzen!

Momentan bin ich ganz empfindlich, was Babybäuche angeht. Am Liebsten würd ich keine sehen wollen und deshalb fallen sie mir besonders auf. Dann denk ich gleich dran, wie groß mein Bauch jetzt wäre und dass ich stattdessen einen leeren Schwabbel vor mir hertrage. Wenn ich irgendwo Mamas mit Bauch sehe, die sich mit Dingen fürs Baby eindecken, denke ich zynisch: "Na, wart's mal ab! Da kann noch viel passieren!", und fühl mich im nächsten Moment echt schäbig, weil ich es gerade niemandem gönnen kann. Ich befürchte, ich kann das erst, wenn ich selbst wieder schwanger bin. Wobei, einer Person gönne ich es tatsächlich von Herzen, sogar jetzt, weil ich um die schwierige Vorgeschichte weiß. Es ist schlimm, dass ich da so unterscheide, das passiert nicht bewusst. Es ist einfach so und wahrscheinlich ist es auch völlig normal.

Aber kommen wir noch mal zurück zur Zeit. Wahrscheinlich rast sie so, weil ich so abgelenkt bin. Die Flüchtlingshilfe nimmt viel Zeit in Anspruch, wenn es auch manchmal nur gedanklich ist. Und dann sind da noch diverse Arzttermine und der Rückbildungskurs. Einerseits tut mir so ein gewisses Maß an Alltag ganz gut. Andererseits denk ich manchmal auch: Es ist sechs Wochen her, dass dein Kind gestorben ist, du MUSST jetzt keinen Alltag haben! Du solltest (könntest?) den ganzen Tag auf der Couch rumliegen, heulen und dir jeden Tag Pizza bestellen! 

Gestern gab es drei Stunden, in denen ich überhaupt nicht an Johann gedacht habe. In dem Moment tat mir das gut, ich war sogar fast ein wenig ausgelassen. Abends hat es sich dann gerächt. Ich war jähzornig, traurig, überfordert mit Allem und gemein. Einschlafen konnte ich nicht, weil die Tränen nicht aufhören wollten, mir aus den Augen zu schießen. Es hat ewig gedauert, bis ich mich wieder beruhigen konnte.

Das Schlimme an der Sache ist: je mehr normalen Alltag ich lebe, umso mehr erwarten Andere von mir. Das ist zumindest meine große Angst, denn ich merke, wie ich es von mir selbst erwarte. Ich weiß, dass mein Umfeld (zumindest, was den Großteil des Freundeskreises und meine Familie angeht) mich niemals unter Druck setzen würde. Trotzdem schleichen sich bei mir solche Gedanken ein, wie: "Die Flüchtlingskinder kannst du betreuen, aber arbeiten willst du noch nicht gehen!" Arbeiten ist ja sowieso bis Dezember erst einmal kein Thema. Aber ich habe wirklich Angst vor dem Tag, an dem der Mutterschutz endet, weil ich nicht weiß, ob ich mir selbst eine weitere Schonfrist (ohne ein schlechtes Gewissen) zugestehen kann. Ich habe Angst, dass man (ja, wer eigentlich?) denken könnte, dass ich mich doch ganz normal verhalte, da könnte ich doch auch wieder arbeiten gehen, denn ich habe es ja offensichtlich überwunden. Angst, dass man mir meine Trauer einfach nicht ansieht und mir deshalb zu viel zumutet. Und "man" schließt in dem Fall mich selbst nicht aus. Ich weiß einfach gar nicht, wie ich mich fühle und was ich kann. Oft merk ich erst hinterher, wie sehr mich etwas angestrengt hat. 
Ich schiebe seit zwei Wochen Treffen mit Freundinnen vor mir her. Ich will mich unbedingt mit ihnen treffen, aber ich schaff es nicht und dass sie immer zu mir kommen, will ich ihnen nicht zumuten, obwohl sie es ohne zu zögern tun würden.

Es ist eine seltsame Zeit. Manchmal denk ich, mein Kopf platzt gleich, weil so viele Gedanken darin sind und manchmal fühlt er sich an, als wäre darin nichts als ein kleiner Strohballen namens Johann, der vom Wind vorsichtig durch die Wüste gepustet wird.

Donnerstag, 1. Oktober 2015

Liste 2.

Meine zweite Liste ist eine Ansammlung von Fragen, die ich Johann gerne stellen würde. Die Liste bekommt bestimmt eine Fortsetzung, weil mir ständig neue Fragen einfallen. Hier sind aber die, die mir am meisten auf der Seele brennen:

Geht es dir gut?

Findest du, dass wir uns richtig entschieden haben?

Kannst du uns verzeihen?

Hattest du Schmerzen?

Wie ist Sterben?

Wo bist du?

Bist du dort allein, oder hast du schon Freunde/einen Teil deiner Urgroßeltern kennengelernt?

Kannst du uns sehen?

Immer?

Kannst du uns gut leiden oder findest du uns manchmal doof?

Kannst du uns Zeichen geben?

Siehst du die Kerze, die jede Nacht von unserem Garten aus leuchtet?

Weißt du, ob/wann du ein Geschwisterchen bekommst? Kennst du es vielleicht sogar schon?

Ist es okay für dich, wenn wir jetzt schon an ein Geschwisterchen denken?

Wie war es in meinem Bauch?

Was hat dir in deinem kleinen Leben am Besten gefallen und was überhaupt nicht?

Wie hat dir deine Feier gefallen?

Wie gefällt dir dein Grab?

Wenn du drei Wünsche frei hättest, was würdest du dir wünschen?

Fehlen wir dir auch so sehr, wie du uns?

Kannst du unsere Gedanken lesen?

Gibt es bei dir Berge und Schnee und warst du schonmal Snowboarden? (Papa wieder!)

Machen die Miezen manchmal Dummheiten, wenn wir nicht zuhause sind?

Gefällt es dir, wenn ich im Garten Seifenblase für dich mache?


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