Mittwoch, 9. September 2015

Johanns Tag

Am Sonntagabend, als wir mit meiner Schwester, ihrem Freund und einer guten Freundin in der Küche saßen und Bier tranken, konnte ich mir noch ganz gut vorstellen, dass wir einfach nur Besuch haben und einen schönen Abend verbringen. Sogar die Nacht war ganz okay, aber das lag wahrscheinlich auch am Bier.

Dass es am Montag den ganzen Tag regnen sollte, war uns ja schon bekannt. Als dann aber früh der Luftballon-Mann anrief und uns darüber informierte, dass die bei Regen gar nicht steigen und ob er überhaupt kommen sollte, war ich dann doch kurz vorm Eskalieren. Jede Wetter-App prognostizierte etwas Anderes, aber wir entschieden uns trotzdem dafür, dass er die Ballons erstmal bringen sollte, immerhin würde ja auch eine Zeitspanne von fünf bis zehn Minuten ohne Regen ausreichen. In dem Moment wurde mir aber schon bewusst, wie schlimm es um mein Nervenkostüm bestellt war und ich befürchtete, es könnte reißen, sollte noch eine Hiobsbotschaft hinzukommen.

Gegen elf Uhr fuhren wir in den Erlebnisgarten, in dem die Feier stattfinden sollte, um noch ein paar letzte Vorbereitungen zu treffen, die wir am Sonntag nicht geschafft hatten. Unter Anderem mussten wir dazu auch in den Blumenladen, um Blumen für die Vasen auf den Tischen zu besorgen. Allerdings gefielen mir die meisten Blumen nicht, weshalb ich dann zielstrebig auf eine Vase zulief, in der ein paar hübsche Zweige standen, an denen rote Früchten hingen. Auf dem Schild stand "Hypericum". Als mein Mann die Floristin fragte, welche Pflanze das ist und ihre Antwort "Das ist Johanniskraut.", war, habe ich gar nicht verstanden, weshalb mein Mann und meine Freundin so reagieren. Ich dachte, es hätte etwas mit der beruhigenden Wirkung von Johanniskraut zu tun. Erst im Auto fiel es mir auf. JOHANNiskraut! Ich bin bestimmt kein Mensch der an Zeichen glaubt, aber das war schon ein bisschen seltsam und zumindest für mich ein bisschen mehr als purer Zufall.

Kurz nach 13 Uhr kamen wir dann auf dem Friedhof an. Als wir den kurzen Weg zur Andachtshalle liefen, fühlte ich mich für kurze Zeit zwei Jahre zurückgeworfen, als ein Freund beerdigt wurde. Ich hatte sofort das Bild im Kopf, wie seine Eltern da standen, ein Häufchen Elend, gebrochene Menschen. Ein Anblick, der mich bis heute verfolgt. Nun wäre ich also selbst so ein Anblick. Mir kamen die Tränen, aber ich konnte sie gerade noch so zurückhalten, gab es doch noch einige Dinge zu besprechen, die den Ablauf der Feier betrafen. 

Es war ein komisches Gefühl die Halle zu betreten, den Sarg stehen zu sehen. Lange hielt ich den Anblick nicht aus, ich musste raus, die Gäste begrüßen, mit einigen kurz reden, einen Pappkarton zum Auto bringen - alles war mir lieber, als in diesem Raum zu stehen. Und während ich draußen stand, meine Mama mir einen Bachblüten-Bonbon zur Beruhigung in die Hand drückte und ich mich darüber freute, dass alle, die zugesagt hatten, auch kamen, kam plötzlich die Sonne raus. Ich hatte an dem Vormittag ja schon viele Wettervorhersagen gesehen, aber von Sonne war da nirgendwo die Rede. Als die Trauerfeier losging, schien sie immernoch durch die Fenster und ich saß da, war unendlich traurig und gleichzeitig so glücklich. Ich war glücklich, weil wir Johann bei uns haben durften, glücklich über die Beziehung zu meinem Mann, glücklich über unsere lieben Familien und Freunde und glücklich, dass in diesem Moment die Sonne für (oder von?) Johann schien. 

Die Trauerrede war wunderschön, voller Liebe und sie machte Mut. Es gab einen Punkt, an dem ich sehr weinen musste. das war nachdem unser Brief an Johann vorgelesen wurde und die Musik zu spielen begann. Unser Freund, der die Trauerrede hielt, meinte hinterher zu meinem Mann, dass ich sehr viel gefasster gewirkt hätte, als mein Mann. Dabei war ich einfach nur so zuversichtlich, dass es Johann gut geht, dort wo er jetzt ist. Und dass die Liebe uns für immer verbindet. Ich konnte seine Anwesenheit fühlen, ich bin mir ganz sicher. Das hat mir Mut gemacht und Kraft gegeben.

Den Trauerzug führten mein Mann und ich an. Er trug den kleinen Sarg, ich Johanns Köfferchen. Einen Teil des Weges flog ein weißer Schmetterling vor uns her und als er nicht mehr zu sehen war, war es ein kleiner Spatz. Und es ist so schön, wenn man glauben kann, dass das kleine Zeichen sind. Man nimmt seine Umwelt ganz anders war, achtet auf Kleinigkeiten und sieht sie überall.

Eine meiner größten Befürchtungen war, dass es schwer werden könnte nach der Trauerfeier die Kurve zu kriegen zum "leichten" Fest im Erlebnisgarten. Aber selbst das klappte gut. Es war, als hätten alle Gäste die Trauer auf dem Friedhof gelassen und nur die positiven Gedanken mitgenommen. Die Sonne schien auch weiterhin, so dass wir die Luftballons mit den Wünschen dran losschicken konnten. Einer der vielen schönen Momente an diesem Tag. 
Was mir während des Festes sehr oft erzählt wurde: Als unser Brief vorgelesen wurde und zu der Stelle kam, dass wir Johann nun auf andere Weise sehen, unter Anderem in den "ersten Sonnenstrahlen nach einer grauen Regenzeit", haben alle Gäste nach oben in die Sonne geschaut und gelächelt. Vielleicht war das also für manche Gäste ein ebenso magischer Moment, wie für mich.

Ich denke, dass Johann dieser Tag gefallen hat, besonders die vielen bunten Ballons, mit den lieben Gedanken und Wünschen dran. Uns hat der Tag gut getan und wir haben uns über jeden einzelnen Gast gefreut, der unseren kleinen Sohn mit uns gefeiert hat! Schön, dass ihr alle da wart, auch die, die nur gedanklich bei uns sein konnten! Und wir möchten uns auch bei denen bedanken, die diese Feier überhaupt möglich gemacht haben. Sei es durch Sach- oder Geldspenden, helfende Hände, liebe Worte und Gesten und überhaupt: Ihr seid alle toll!

In der Familie haben wir beschlossen, nun jedes Jahr am Wochenende nach Johanns Geburtstag im Erlebnisgarten ein (Spät-)Sommerfest zu machen. Vielleicht wird es einfach zu einer schönen Tradition, gemeinsam mit lieben Menschen einen tollen Tag zu verbringen. Es würde uns freuen und Johann bestimmt auch.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen