Sonntag, 26. Juli 2015

Wie die Welt sich weiterdreht und wie es mich ankotzt

Also ja, ich weiß ja wie das ist. Bei Liebeskummer oder so, da hat man das Gefühl, dass man selbst in so einer Art zeitlosem Raum lebt, drumherum geht der Alltag weiter und man versteht gar nicht, wie das überhaupt sein kann. So ähnlich ist es jetzt, nur ungefähr unendlich schlimmer. Alles fühlt sich falsch an, sogar mein Bauch. Als hätte ich ihn nicht mehr verdient, als müsste er längst weg sein. Die Ungewissheit ist zum kotzen! Ich hab mich natürlich belesen zu der Diagnose. Man findet leider kaum etwas dazu, aber was man findet, sind meistens seriöse Seiten von Kliniken, Ärzten, Vereinen und ein paar wenige Erfahrungsberichte. Erfahrungsberichte, die mich vor allem in der Entscheidung bestärken, dass wir dem Kleinen diese Torturen ersparen wollen. Ansonsten werde ich nicht schlauer. Die Expertenmeinungen gehen auseinander, was den Zusammenhang zwischen Rhabdomyomen am Herzen und der tuberösen Sklerose angeht. Irgendwo zwischen 50 und 92 Prozent. Je nach Laune hoffe ich auf ersteres und befürchte letzteres.

Einmal am Tag hab ich ein absolutes Tief. Ein falscher Gedanke reicht schon. Dann packt mich eine solche Angst, dass unser Kind uns niemals sehen wird, dass es keinen ersten Schrei von sich geben wird und einfach alles verpasst, was es sonst so auf der Welt zu entdecken gibt. In solchen Momenten gehe ich schon den Text für die obligatorische Geburts-SMS durch, die man als stolze, frischgebackene Eltern an alle seine Freunde schickt. Nur dass die dann eben gleich eine Todesanzeige beinhaltet. Ich erschrecke dann, weil ich denke, dass ich übertreibe und dann fällt mir ein, dass dieser Gedanke nicht übertrieben ist, sondern schon bald Realität werden kann und dass diese Realität sogar wahrscheinlicher ist, als die in der ich die Todesanzeige weglassen kann.

Trotzdem lege ich jeden Abend die Spieluhr auf den Bauch. Damit werde ich auch nicht aufhören und er wird sie auch hören, wenn er das letzte Mal einschläft, vielleicht hat er dann keine Angst. Und ich lese ihm jeden Tag einmal die Geschichte vom kleinen Angsthase vor. Das war meine Lieblingsgeschichte als Kind und wenn es eine gibt, die er kennen muss, dann die, in der Hoffnung, dass wir irgendwann doch mal zusammen die Bilder dazu anschauen. Und wir haben uns spontan für einen Namen entschieden. Ich fänd es schlimm, wenn er ohne einen sterben müsste. Heute Nacht wollte ich nicht mehr schlafen, weil er wach war, getreten und geboxt hat und ich das nicht verpassen wollte. Als dann noch mein Mann wach wurde, waren wir zu dritt schlaflos und es fühlte sich mal kurz an, wie ein kleines Stückchen Familienleben.

Und dann wieder unfassbare Wut! Warum müssen wir jetzt ausgerechnet so zittern? Haben wirs nicht verdient eine eigene Familie zu gründen? Sind wir irgendwie böse? Ich werde sauer auf alle, die einfach so schwanger werden und bei denen die Probleme aus ein bisschen Übelkeit und Wasser in den Beinen besteht. Klar, kann niemand von denen irgendwas für unsere Situation. Aber ich will ihr Glück nicht sehen, es soll weg bleiben von mir! Ich will nicht wissen, dass in fast allen Fällen eine Schwangerschaft völlig komplikationslos verläuft und am Ende ein gesundes Kind dabei herauskommt. Selbst wenn wir das hier irgendwie mit einem blauen Auge überstehen, wird eine eventuelle nächste Schwangerschaft immer geprägt sein von Angst, mehr als es jetzt schon der Fall ist. Ich werd nie eine von denen sein, die völlig unbeschwert und optimistisch schwanger sind, das was hier passiert, wird so oder so seine Spuren hinterlassen.

Eins noch zum Schluss, an die Vertreter der "Ihr müsst jetzt positiv denken!"-Fraktion: Ich weiß ihr meint das gut und so. Aber ehrlich, es macht mich wütend! Die Chancen stehen einfach mal schlecht und ich muss mich nicht damit auseinander setzen, was wäre, wenn er bei uns bleiben könnte. Dann bin ich einfach der glücklichste Mensch der Welt, darauf muss ich nicht vorbereitet sein. Aber auf das, was viel wahrscheinlicher ist sehr wohl, denn das hat das Potenzial, mich so heftig aus der Bahn zu werfen, dass ich nicht weiß ob ich jemals wieder rein finde. Davon abgesehen ist es ja eh immer leicht optimistisch zu sein, wenn es einen nicht betrifft. Trotzdem tut es irgendwie gut, wenn man weiß, dass so viele Menschen dem kleinen Mann die Daumen drücken. Manchmal bilde ich mir ein, es könnte vielleicht doch helfen.

2 Kommentare:

  1. Bei mir war es eine etwas andere Situation, aber ich weiß zumindest, dass Worte nicht wirklich helfen können. Daher sage ich nur: Ich denke ganz oft an euch und drücke unfassbar fest die Daumen!!

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  2. Egal, was passiert: Euer Sohn hat die allerbesten Eltern, die er nur haben kann. Ich wünsche euch so sehr, dass es gut ausgeht; dass ihr zu den 30 glücklichen % gehört.

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